Präventionsverfahren auch in der Probezeit?

Das Landesarbeitsgericht Köln hat sich nun der ersten Instanz des dortigen Arbeitsgerichts angeschlossen, welches bereits unter Verweis auf europarechtliche Grundlagen zum wirksamen Schutz behinderter Menschen, in dem Versäumnis, ein Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen, ein Indiz für eine unrechtmäßige Diskriminierung gesehen hatte. Das Landesarbeitsgericht hielt es zwar nun für geboten, dem Arbeitgeber die Beweislast zu erleichtern, da in der kurzen Zeit, vor Ablauf der Probezeit die Durchführung und der Abschluss eines Präventionsverfahrens hohe Anforderungen stelle. Das Berufungsgericht sah es aber gleichwohl als Pflicht des Arbeitgebers an, ein Präventionsverfahren auch während der Probezeit durchzuführen, um die Unwirksamkeit der Probezeitkündigung wegen eine unzulässigen Diskriminierung zu vermeiden. Diese Rechtsprechung, deren Tendenz auch vom Arbeitsgerichts Freiburg jüngst übernommen worden war, weicht von der aktuellen Rechtsprechung des BAG ab, weshalb die Revision zugelassen wurde. Klarheit über dies Rechtsfrage, wie weit der Schutz behinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch während der Probezeit sichergestellt werden muss, wird erst eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bringen.

Arbeitgeber müssen Arbeitszeiten (wirklich) erfassen!

Das Verwaltungsgericht Hamburg stellte unter Bezugnahme auf die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung in seiner Entscheidung zu dem Aktenzeichen 15 K 964/24 fest, dass Arbeitgeber, die Arbeitszeiten entgegen der gesetzlichen Pflicht aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG nicht aufzeichnen, damit rechnen müssen, empfindliche Geldbußen zahlen zu müssen, wenn sie entsprechenden Aufforderungen der Aufsichtsbehörden nicht nachkommen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seien die Arbeitgeber –nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, für die der Gesetz-
geber nicht auf Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG eine abweichende Regelung getroffen habe, weshalb aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG bei
unionsrechtkonformer Auslegung, die Pflicht von Arbeitgebern abzuleiten sei, ein System einzuführen, mit dem Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließ-
lich der Überstunden erfasst werden.

Im Streitfall hatte die Arbeitgeberin zwar Arbeitszeiten erfasst, aber ab der Führungsebene der Teamleiter darauf verzichtet. Ein anonymer Hinweis an die Behörde war sodann Anlass für die Überprüfung des Betriebs im Hinblick auf die Erfüllung der Dokumentationspflichten der Arbeitszeiten.

Arbeitgeber sollten das Risiko, ähnlichen Verfahren ausgesetzt zu sein, gut dagegen abwägen, ob nicht die Einführung von Zeiterfassungssystemen langfristig die bessere Investition darstellt. Betriebsräte werden solche Vorstöße in der Regel begrüßen – stießen sie doch in der Vergangenheit mit derartigen Initiativen oft auf Widerstand auf Seiten der Arbeitgeber. Auch Vertrauensarbeitszeit und Zeiterfassung schließen sich nicht zwingend aus.

Betriebsräte haben die Wahl: Online oder Päsenz?

Die Möglichkeit, viele Termine und Meetings virtuell durchzuführen verschafft uns allen Freiräume. Auch Kosten können auf diese Weise gespart werden. Aber nicht zu Lasten der Betriebsräte: Das Bundesarbeitsgericht hat nun in seinem Beschluss vom 7. 2.2024 zu dem Aktenzeichen 7 ABR 8/23 klargestellt, dass Betriebsräte frei wählen können, ob sie eine grundsätzlich erforderliche Schulung in Präsenz oder online durchführen wollen. Mit dem Argument, dass die Präsenzveranstaltung regelmäßig teurer angeboten wird und oft mit Reise- und Übernachtungskosten verbunden ist, können Arbeitgeber nicht durchdringen. Die Entscheidung, welches Format der Betriebsrat für geeigneter hält, liegt im legitimen Ermessensspielraum der Arbeitnehmervertreter.

JUVE berichtet über Mandat von KBR

KBR konnte im vergangenen Jahr bei KEA den Betriebsrat der Hauptverwaltung erfolgreich in den Verhandlungen über die Einführung einer Vergütungsordnung unterstützen. Maßgeblich beteiligt war in dem langfristigen Beratungsprojekt Martin Sandforth. Auch im täglichen Geschäft berät KBR durch den Kanzleipartner Benjamin Biere den Betriebsrat des schwedischen Möbelhandelshauses.

JUVE berichtete darüber am 25. Januar 2024.

KBR erweitert Kreis der Partner

Zum Jahreswechsel ist unser Kollege Martin Sandforth unserer Sozietät als Partner beigetreten. Wir gratulieren ihm von Herzen und freuen uns sehr über die Erweiterung unseres Partnerkreises um einen außerordentlich geschätzten Kollegen.

SMS-Lesen auch außerhalb der Arbeitszeit Pflicht?

Das Bundesarbeitsgericht hat im Fall eines Notfallsanitäters (Urteil vom 23.08.2023, 5 AZR 349/22) entschieden, dass ein Arbeitnehmer die Nebenpflicht hat, SMS-Nachrichten seines Arbeitgebers auch in der Freizeit wahrzunehmen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der betrieblichen Regelungen damit rechnen muss. Konkret erlaubte die geltende Betriebsvereinbarung dem Arbeitgeber eine Konkretisierung von Springerdiensten.

Dem Arbeitnehmer sei es zuzumuten, seine Freizeit für geringfügige Zeit zu unterbrechen, um Nachrichten seines Arbeitgebers wahrzunehmen. Dies unterbreche die gesetzliche Ruhezeit nicht. Denn der „Ruf“ zur Arbeit sei an sich noch keine Arbeitszeit.

Diese Einschätzung des 9. Senats wird sicherlich noch Diskussionen und Folgefragen aufwerfen: Denn es wird in der Praxis schwierig sein, hier die Grenze zu ziehen, zwischen einer derart geringfügigen Unterbrechung und einer tatsächlichen Beeinträchtigung der gesetzlichen Ruhezeit.

Betriebsräte sollten diese Rechtsprechung dringend bei der Gestaltung ihrer Betriebsvereinbarungen beachten und etwaigen Anpassungsbedarf prüfen.

Krankschreibung nach Kündigung

Nicht immer hilft die Krankschreibung, die eine Arbeitsunfähigkeit während der laufenden Kündigungsfrist. Ein Missbrauch kann verhindern, dass die gekündigte Arbeitnehmerin auch ihr Gehalt für diesen Zeitraum erhält.

Denn: „Der Beweiswert von (Folge-) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt.“ (Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.12.2023)

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 13. Dezember 2023 – 5 AZR 137/23 – klargestellt, dass missbräuchliche „Wunschverlängerungen“ nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Arbeitnehmer*innen müssen dann die Arbeitsunfähigkeit anderweitig beweisen. Das geht beispielsweise durch eine Zeugenvernahme der behandelnden Ärztin oder anderer Sachverständiger. Ob dies im entschiedenen Fall gelingt, wird nun das Landesarbeitsgericht erneut zu beurteilen haben.

KBR ist jetzt Teil einer überregionalen Kooperation von Arbeitnehmeranwältinnen

KBR ist nun Teil der von Krikor Seebacher (München) und Uwe Silberberger (Düsseldorf) begründeten Kooperation von Fachanwältinnen und Fachanwälten für Arbeitsrecht, deren erklärter Schwerpunkt die Beratung von Betriebsräten und Arbeitnehmerinnen ist. Damit verfügt die Kooperation über Standorte in München, Hamburg, Köln, Düsseldorf und Frankfurt und ist damit in wichtigen Wirtschaftszentren vertreten. Lokale Netzwerke und Erfahrungen können so kooperationsübergreifend eingesetzt und fachlicher Austausch zur Optimierung der gemeinsamen Beratungsqualität nutzbar gemacht werden. Wir freuen uns auf diese neuen Perspektiven!

Einsichtnahme des Betriebsrats in Gehaltslisten auch mit Namen

Der Betriebsrat hatte vom Arbeitgeber verlangt, die vollständigen Listen vorzulegen. Der Arbeitgeber verweigerte dies unter Berufung auf das Datenschutzrecht und meinte nur anonymisierten Listen vorlegen zu müssen. Das BAG stellte nun fest: Die Voraussetzungen des § 26 I 1 BDSG sind erfüllt. Danach dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses unter anderem dann verarbeitet werden, wenn dies zur Ausübung oder Erfüllung der sich aus einem Gesetz ergebenden Rechte und Pflichten der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist.

Es handele sich bei der Übermittlung der Gehaltslisten an den Betriebsrat um eine auf personenbezogene Daten von „Beschäftigten“ (vgl. § 26 VIII Nr. 1 BDSG) gerichtete Datenverarbeitung „für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses“. Denn die Einsichtsgewährung in Bruttoentgeltlisten sei zur Erfüllung eines Rechts des Betriebsrats nach § 80 II Hs. 2 BetrVG „erforderlich“ iSv § 26 I 1 BDSG.

Für Betriebsräte ist dies eine erfreuliche Bestätigung, dass der Arbeitgeber sich nicht hinter dem Datenschutz verstecken kann, um sich seinen Pflichten gegenüber dem Betriebsrat zu entziehen.

Die Entscheidungsgründe des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung (13. September 2022, 1 ABR 22/21) sind nun veröffentlicht!

Schon mit der Entscheidung aus Mai 2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 14.5.2019, Az.: C-55/18) ausdrücklich festgestellt, dass effektiver Arbeitnehmerschutz nur dann gewährleistet ist, wenn die Arbeitszeit erfasst wird. Dazu sei ein „objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die (…) geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.“

Erstaunlicherweise verstanden viele diese klaren Worte nicht als unmittelbar übertragbar auf die rechtliche Situation in Deutschland: Mit der klarstellenden Entscheidung (Beschl. v. 13.9.2022, Az.: 1 AZR 22/21) hat das Bundesarbeitsgericht nun ausdrücklich festgelegt, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bereits unmittelbar in Deutschland für jeden Arbeitgeber gilt. D.h. Arbeitgeber müssen Lage, Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit tatsächlich erfassen, die bloße Bereitstellung eines Zeiterfassungssystems reicht nicht aus.

Die Verpflichtung gilt ab jetzt, es gibt keine „Übergangsfrist“. Das BAG gibt nicht vor, durch wen (den Arbeitgeber oder entsprechende Anweisung an den Arbeitnehmer) bzw. in welcher Form (manuell, elektronisch) die Erfassung zu erfolgen hat; der Arbeitgeber hat insoweit einen Gestaltungsspielraum. Besteht ein Betriebsrat, ist dieser bei der Ausgestaltung der Zeiterfassung (u.a. gem. §§ 87 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3, 6, 7 BetrVG) zu beteiligen.

Unmittelbare Geldbußen drohen trotz dessen wohl (noch) nicht, Verstöße gegen die Pflicht zur Zeiterfassung nach § 3 ArbSchG können bei der zuständigen Behörde z.B. im Rahmen der Regelung des § 89 BetrVG angezeigt werden und können dann zu einer konkreten Anordnung durch die Behörde nach § 22 Abs. 3 ArbSchG führen.