Fehlende Zielvorgabe begründet Anspruch auf Durchschnittsbonus

Das Bundesarbeitsgericht stellt klar, dass bei unterlassener Zielvorgabe die Ziel als erreicht betrachtet werden müssen.

Die Beklagte hat ihre Verpflichtung zu einer den Regelungen der Betriebsvereinbarung entsprechenden Zielvorgabe für das Jahr 2019 schuldhaft verletzt, indem sie dem Kläger keine individuellen Ziele vorgegeben und ihm die Unternehmensziele erst verbindlich mitgeteilt hat, nachdem bereits etwa ¾ der Zielperiode abgelaufen waren. Eine ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht werdende Zielvorgabe war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Deshalb kommt hinsichtlich der Ziele auch keine nachträgliche gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BGB in Betracht. Bei der im Wege der Schätzung (§ 287 Abs. 1 ZPO) zu ermittelnden Höhe des zu ersetzenden Schadens war nach § 252 Satz 2 BGB von der für den Fall der Zielerreichung zugesagten variablen Vergütung auszugehen und anzunehmen, dass der Kläger bei einer billigem Ermessen entsprechenden Zielvorgabe die Unternehmensziele zu 100 % und die individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142 % erreicht hätte. Besondere Umstände, die diese Annahme ausschließen, hat die Beklagte nicht dargetan.

Also: Wer Karotten im Schaufenster aushängt muss sie auch liefern. Oder so ähnlich jedenfalls.

Deutschland wird digital – ein bisschen mehr jedenfalls

Umstritten war bisher, ob Arbeitgeber digital erstellte Gehaltsabrechnungen über die von ihnen selbst bereit gestellten IT-Ressourcen den Arbeitnehmer*innen bereitstellen dürfen, um den Anspruch auf Erteilung einer Gehaltsabrechnung zu erfüllen. Bisher hatten die Gerichte überwiegend eine Verpflichtung des Arbeitgebers gesehen, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten die Abrechnung erhalten. Allein das „ablegen“ im beruflichen E-Mail-Postfach sollte aber bisher nicht unbedingt dafür ausreichen, so sah es jedenfalls zuletzt das LAG Niedersachen.

Der Anspruch auf Abrechnung des Entgelts von Arbeitnehmern sei aber eine Holschuld, urteilte jetzt das Bundesarbeitsgericht BAG, Urteil vom 28.01.2025 – 9 AZR 48/24. Diese könne der Arbeitgeber erfüllen, ohne für den Zugang der Abrechnung bei den Beschäftigten verantwortlich zu sein.

In Betrieben mit Betriebsrat muss daher sichergestellt sein, dass die Bereitstellung und Nutzung von betrieblichen E-Mail-Postfächern auch diesem Zweck erlaubt ist, wenn dort Vereinbarungen zur Einführung und Anwendung solcher technischen Einrichtungen bestehen.

Jedoch ist die Frage, welche Maßnahmen Arbeitgeber treffen müssen, um Arbeitnehmer*innen ohne eigenes Postfach, die Abrechnung zukommen zu lassen, weiterhin ungeklärt.

Präventionsverfahren auch in der Probezeit?

Das Landesarbeitsgericht Köln hat sich nun der ersten Instanz des dortigen Arbeitsgerichts angeschlossen, welches bereits unter Verweis auf europarechtliche Grundlagen zum wirksamen Schutz behinderter Menschen, in dem Versäumnis, ein Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen, ein Indiz für eine unrechtmäßige Diskriminierung gesehen hatte. Das Landesarbeitsgericht hielt es zwar nun für geboten, dem Arbeitgeber die Beweislast zu erleichtern, da in der kurzen Zeit, vor Ablauf der Probezeit die Durchführung und der Abschluss eines Präventionsverfahrens hohe Anforderungen stelle. Das Berufungsgericht sah es aber gleichwohl als Pflicht des Arbeitgebers an, ein Präventionsverfahren auch während der Probezeit durchzuführen, um die Unwirksamkeit der Probezeitkündigung wegen eine unzulässigen Diskriminierung zu vermeiden. Diese Rechtsprechung, deren Tendenz auch vom Arbeitsgerichts Freiburg jüngst übernommen worden war, weicht von der aktuellen Rechtsprechung des BAG ab, weshalb die Revision zugelassen wurde. Klarheit über dies Rechtsfrage, wie weit der Schutz behinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch während der Probezeit sichergestellt werden muss, wird erst eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bringen.

Arbeitgeber müssen Arbeitszeiten (wirklich) erfassen!

Das Verwaltungsgericht Hamburg stellte unter Bezugnahme auf die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung in seiner Entscheidung zu dem Aktenzeichen 15 K 964/24 fest, dass Arbeitgeber, die Arbeitszeiten entgegen der gesetzlichen Pflicht aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG nicht aufzeichnen, damit rechnen müssen, empfindliche Geldbußen zahlen zu müssen, wenn sie entsprechenden Aufforderungen der Aufsichtsbehörden nicht nachkommen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seien die Arbeitgeber –nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, für die der Gesetz-
geber nicht auf Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG eine abweichende Regelung getroffen habe, weshalb aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG bei
unionsrechtkonformer Auslegung, die Pflicht von Arbeitgebern abzuleiten sei, ein System einzuführen, mit dem Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließ-
lich der Überstunden erfasst werden.

Im Streitfall hatte die Arbeitgeberin zwar Arbeitszeiten erfasst, aber ab der Führungsebene der Teamleiter darauf verzichtet. Ein anonymer Hinweis an die Behörde war sodann Anlass für die Überprüfung des Betriebs im Hinblick auf die Erfüllung der Dokumentationspflichten der Arbeitszeiten.

Arbeitgeber sollten das Risiko, ähnlichen Verfahren ausgesetzt zu sein, gut dagegen abwägen, ob nicht die Einführung von Zeiterfassungssystemen langfristig die bessere Investition darstellt. Betriebsräte werden solche Vorstöße in der Regel begrüßen – stießen sie doch in der Vergangenheit mit derartigen Initiativen oft auf Widerstand auf Seiten der Arbeitgeber. Auch Vertrauensarbeitszeit und Zeiterfassung schließen sich nicht zwingend aus.

Betriebsräte haben die Wahl: Online oder Päsenz?

Die Möglichkeit, viele Termine und Meetings virtuell durchzuführen verschafft uns allen Freiräume. Auch Kosten können auf diese Weise gespart werden. Aber nicht zu Lasten der Betriebsräte: Das Bundesarbeitsgericht hat nun in seinem Beschluss vom 7. 2.2024 zu dem Aktenzeichen 7 ABR 8/23 klargestellt, dass Betriebsräte frei wählen können, ob sie eine grundsätzlich erforderliche Schulung in Präsenz oder online durchführen wollen. Mit dem Argument, dass die Präsenzveranstaltung regelmäßig teurer angeboten wird und oft mit Reise- und Übernachtungskosten verbunden ist, können Arbeitgeber nicht durchdringen. Die Entscheidung, welches Format der Betriebsrat für geeigneter hält, liegt im legitimen Ermessensspielraum der Arbeitnehmervertreter.

JUVE berichtet über Mandat von KBR

KBR konnte im vergangenen Jahr bei KEA den Betriebsrat der Hauptverwaltung erfolgreich in den Verhandlungen über die Einführung einer Vergütungsordnung unterstützen. Maßgeblich beteiligt war in dem langfristigen Beratungsprojekt Martin Sandforth. Auch im täglichen Geschäft berät KBR durch den Kanzleipartner Benjamin Biere den Betriebsrat des schwedischen Möbelhandelshauses.

JUVE berichtete darüber am 25. Januar 2024.

KBR erweitert Kreis der Partner

Zum Jahreswechsel ist unser Kollege Martin Sandforth unserer Sozietät als Partner beigetreten. Wir gratulieren ihm von Herzen und freuen uns sehr über die Erweiterung unseres Partnerkreises um einen außerordentlich geschätzten Kollegen.

SMS-Lesen auch außerhalb der Arbeitszeit Pflicht?

Das Bundesarbeitsgericht hat im Fall eines Notfallsanitäters (Urteil vom 23.08.2023, 5 AZR 349/22) entschieden, dass ein Arbeitnehmer die Nebenpflicht hat, SMS-Nachrichten seines Arbeitgebers auch in der Freizeit wahrzunehmen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der betrieblichen Regelungen damit rechnen muss. Konkret erlaubte die geltende Betriebsvereinbarung dem Arbeitgeber eine Konkretisierung von Springerdiensten.

Dem Arbeitnehmer sei es zuzumuten, seine Freizeit für geringfügige Zeit zu unterbrechen, um Nachrichten seines Arbeitgebers wahrzunehmen. Dies unterbreche die gesetzliche Ruhezeit nicht. Denn der „Ruf“ zur Arbeit sei an sich noch keine Arbeitszeit.

Diese Einschätzung des 9. Senats wird sicherlich noch Diskussionen und Folgefragen aufwerfen: Denn es wird in der Praxis schwierig sein, hier die Grenze zu ziehen, zwischen einer derart geringfügigen Unterbrechung und einer tatsächlichen Beeinträchtigung der gesetzlichen Ruhezeit.

Betriebsräte sollten diese Rechtsprechung dringend bei der Gestaltung ihrer Betriebsvereinbarungen beachten und etwaigen Anpassungsbedarf prüfen.

Krankschreibung nach Kündigung

Nicht immer hilft die Krankschreibung, die eine Arbeitsunfähigkeit während der laufenden Kündigungsfrist. Ein Missbrauch kann verhindern, dass die gekündigte Arbeitnehmerin auch ihr Gehalt für diesen Zeitraum erhält.

Denn: „Der Beweiswert von (Folge-) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt.“ (Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.12.2023)

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 13. Dezember 2023 – 5 AZR 137/23 – klargestellt, dass missbräuchliche „Wunschverlängerungen“ nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Arbeitnehmer*innen müssen dann die Arbeitsunfähigkeit anderweitig beweisen. Das geht beispielsweise durch eine Zeugenvernahme der behandelnden Ärztin oder anderer Sachverständiger. Ob dies im entschiedenen Fall gelingt, wird nun das Landesarbeitsgericht erneut zu beurteilen haben.

KBR ist jetzt Teil einer überregionalen Kooperation von Arbeitnehmeranwältinnen

KBR ist nun Teil der von Krikor Seebacher (München) und Uwe Silberberger (Düsseldorf) begründeten Kooperation von Fachanwältinnen und Fachanwälten für Arbeitsrecht, deren erklärter Schwerpunkt die Beratung von Betriebsräten und Arbeitnehmerinnen ist. Damit verfügt die Kooperation über Standorte in München, Hamburg, Köln, Düsseldorf und Frankfurt und ist damit in wichtigen Wirtschaftszentren vertreten. Lokale Netzwerke und Erfahrungen können so kooperationsübergreifend eingesetzt und fachlicher Austausch zur Optimierung der gemeinsamen Beratungsqualität nutzbar gemacht werden. Wir freuen uns auf diese neuen Perspektiven!